»Das Leben in der Stadt ist nicht schlecht – nicht für alle von uns jedenfalls. Als alter Streuner kenne ich noch ganz andere Zeiten. Da gab es harte Regeln, saubere Straßen und bewachte Müllplätze. Heute ist das anders. Es ist fast, als hätten die Menschen diese Erde aufgegeben und würden nur noch ihre letzten Jahre zelebrieren. Die, die es sich leisten können zumindest. Oh, ich kann dir sagen, einmal ein Schoßhund der Schönen und Reichen zu sein, das würde selbst mein altes Gaunerherz noch einmal höher schlagen lassen. Wenigstens für kurze Zeit. Nie würde ich meine Freiheit endgültig tauschen, um eine Zerstreuung der Menschen zu werden. Und das möchte ich auch dir nicht geraten haben, mein Freund. Ihr Spielzeug, ihr Zeitvertreib zu werden. Mit Schmuck und Halsbändern behängt brav neben ihnen her zu traben. Oh ja, sie sind gut genährt und werden umsorgt, aber um welchen Preis? Die Menschen sind grausam. Die einen von uns halten sie als Haustier, die anderen lassen sie in brutalen Hundekämpfen gegeneinander antreten oder nutzen sie für ihre kranken Experimente. Oh, ich kenne die Welt und ich kennen die Menschen, mein junger Freund. Höre auf mich, viel Zeit bleibt nicht mehr. Die Erde stirbt. Immer häufiger erreichen uns die Katastrophen: Dürre, Hungersnot und Überschwemmungen. Du kennst das Leben außerhalb der Stadt nicht. Du weißt nicht, was da draußen alles lauert. Welchen Preis wir alle für dieses verschwenderische Leben der Menschen zahlen. Es geht zu Ende mit der Erde und wir werden mit ihr gehen.
Und doch ist es, als hätte sich etwas verändert in letzter Zeit. Ich kann dir nicht wirklich sagen was es ist, aber ich spüre es. Ich fühle es in meinen alten Knochen. Das Kribbeln in der abgestumpften Nase. Ein Drängen. Eine Gewissheit. Auch ich habe den Ruf vernommen. Habe das Glitzern der Hoffnung in den Augen von Hunden gesehen, die eben jene schon vor langer Zeit verloren hatten. Es ist als hätten einige von uns neuen Mut geschöpft und andere werden von ihnen angezogen, wie Motten, die dem Licht folgen. Noch ist es nicht mehr als eine Vision. Keiner von uns hat es je mit eigenen Augen gesehen. Dass es da draußen mehr gibt, als verbrannte Erde. Es ist wie ein Märchen aus alter Zeit. Aus einer besseren Zeit. Die wilden Wölfe sind vor vielen Jahren ausgestorben und selbst wenn es noch einige von ihnen in den Zoos der Menschen gibt, so sei ihr Lebensraum doch zerstört worden – heißt es. Doch wenn das wahr ist, wieso spüre ich dann dieses Drängen in mir? Diese innere Stimme, die mir sagt, dass es dort draußen noch mehr gibt. Überreste dieser unberührten Natur in der unsere gequälten Seelen Frieden finden werden. Dieser Ruf führt mich. Ist er auch in dir erklungen?
Der Ruf.«